Eine Erfolgsgeschichte der angewandten Forschung
Besamungseber haben einen sehr bedeutenden Einfluss auf den Erfolg von Schweineproduzenten, denn sie liefern zum einen den genetischen Fortschritt in Form von Spermaportionen. Zum anderen hat sowohl durch die Effizienz in der Spermaproduktion als auch in der Besamung ein einzelner Besamungseber Einfluss auf mehrere Tausend Ferkel bzw. Schlachtschweine. So ist für Zuchtunternehmen die möglichst sichere Vorhersage der Spermaqualität junger KB-Eber von besonderer Bedeutung. Neue Wege zur Vorhersage von Spermaqualität und Outputleistung bereits bei jungen Ebern stehen deshalb in besonderem Fokus für Zuchtunternehmen. So wollen sie sicherzustellen, dass die an Besamungsstationen (KB-Stationen) gelieferten Jungeber eine hohe Chance haben, die notwendigen Qualitätsstandards für die Besamung und damit die Verbreitung des Zuchtfortschritts zu erfüllen.
Das Konzept der Fertiboar-Technologie wurde in Zusammenarbeit mit dem IFN Schönow, einem innovativen Forschungsinstitut für Nutztiere in einem 4-jährigen intensiven Verbundforschungsprojekt entwickelt. Die Fertiboar-Technologie eröffnet die Möglichkeit, die Spermaqualität von jungen Ebern basierend auf der Untersuchung der Hoden mittels Ultraschall bereits vor der ersten Spermaentnahme vorherzusagen. Mit dieser Technologie können die Eber mit der besten Samenqualität identifiziert und für die Platzierung in KB-Stationen ausgewählt werden. Für KB-Stationen ergeben sich Vorteile durch eine effizientere Ebernutzung und Schweineproduzenten können mit einer verbesserten Spermaqualität und Fruchtbarkeit rechnen.
Konzept basierend auf drei innovativen Technologien
Die FertiBoar-Software wurde auf der Grundlage von Ultraschallbildern von über 1.500 Jungebern und mehr als 500 zugehörigen Ejakulatanalysen entwickelt und trainiert. Zwei bis drei vertikale und ein horizontales Bild von jedem Eberhoden wurden zum einen zu Beginn der Eigenleistungsprüfung und noch einmal bei Selektion zusätzlich zu einer Messung zur Unterstützung der Hodenvolumenberechnung aufgenommen (Grafik 1).
Eine softwaregestützte Grey Scale Analyse (GSA) wurde auf allen gesammelten Bildern angewandt. Dabei wird die Struktur des Hodengewebes anhand der verschiedenen Pixeleigenschaften – dunkelste / hellste Pixel, mittlere Grauskala der Pixel etc. – beschrieben. Um diesen Prozess zu automatisieren und relevante Regionen für die Analyse innerhalb des Hodens zu identifizieren, wurde ein künstliches neuronales Netzwerk (Convolutional Neural Network) trainiert, um eine semantische Segmentierung durchzuführen (Verständnis eines Bildes auf Pixel-Ebene), Details siehe Fotos 1 & 2.
Die KB-Stationen, die die Eber erhielten, stellten Proben einem andrologischen Referenzlabor zur Verfügung, um die Qualität der gewonnenen Ejakulate zu bewerten. Auf dieser Grundlage wurde ein Jungeber als ein geeigneter Besamungseber eingestuft, wenn mindestens zwei aufeinanderfolgende Ejakulate mit zufriedenstellender Qualität aus einer Serie von max. fünf identifiziert wurden.
Die GSA-Daten aus der Ultraschallanalyse in Kombination mit den spermatologischen Daten dienten dazu, einen überwachten Lernalgorithmus zu programmieren, der vorhersagt, ob ein Jungeber Ejakulate mit zufriedenstellender Samenqualität produziert.
Beeindruckende Ergebnisse
Das auf der Grundlage der Versuchsdaten entwickelte Entscheidungsmodell ist in der Lage, mehr als 90 % der Eber mit schlechter Samenqualität korrekt vorherzusagen. Gleichzeitig ermöglicht die Automatisierung des gesamten GSA-Analyseprozesses die Anwendung der Technologie in großem Maßstab. Darüber hinaus ist das Modell so aufgebaut, dass über das kontinuierliche Hinzufügen neuer Daten seine Genauigkeit weiter verbessert wird.
Ein relevanter Vorteil für die Ebereffizienz
Daten von Schulze et al. (2014) deuten darauf hin, dass im Alter von sieben Monaten – also der Zeitpunkt, zu dem die Spermagewinnung und -analyse von Jungeber nach der Lieferung an die KB-Station in der Regel beginnt – etwa 37% aller KB-Eber die Mindestanforderungen für Spermaqualität nicht erfüllen. Die Anwendung der FertiBoar-Technolgie vor Lieferung dieser Tiere an die KB-Stationen wäre theoretisch in der Lage, diese Ausfallrate auf ~ 3,7% zu reduzieren. Theoretisch deshalb, da berücksichtigt werden muss, dass einige Hodenschäden zu einem späteren Zeitpunkt auftreten und somit nicht zum Zeitpunkt der FertiBoar-Analyse entdeckt werden können.
Eine Technologie, von der alle Beteiligten der Schweineproduktion profitieren
FertiBoar bietet Vorteile für das Zuchtunternehmen, das diese Technologie einsetzt, für die KB-Stationen, die die getesteten Eber erhalten, und die Sauenhalter, die die Spermaportionen dieser Eber einsetzen.
Zuchtunternehmen
FertiBoar ermöglicht Zuchtunternehmen, gezielt die Eber an KB-Stationen auszuliefern, die eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen KB-Einsatz haben. So wird eine bessere und weitere Verteilung hochwertiger Genetik möglich, und die Kunden können den genetischen Fortschritt schneller in ihren Betrieben realisieren. Dies ist umso wichtiger, wenn jedes Jahr nur eine begrenzte Anzahl von Ebern zur genetischen Auffrischung des Bestandes geliefert werden kann, z.B. Eberexporte in Länder mit strengen Einfuhrbestimmungen.
KB-Stationen
Durch den Einsatz von Ebern, die mit Hilfe der FertiBoar-Technologie selektiert wurden, können KB-Stationen die Eingliederungsprozesse der Eber, die für den KB-Einsatz geeignet sind, wesentlich effizienter gestalten. Infolgedessen könnten die Quarantänekosten je produktivem Eber erheblich gesenkt und zugleich der Spermaertrag je Bestandseber gesteigert werden.
Beispiel:
Für eine KB-Station mit 300 Bestandsebern, einer jährlichen Remontierung von 65% sowie Quarantänekosten von 1.000 €/Eber würde eine Reduzierung der Ausfallrate von 20 auf 5 % eine mögliche Kosteneinsparung von ~29.000 € pro Jahr bedeuten.
Wenn darüber hinaus Eber 10 Wochen in der KB-Station verbleiben, bevor eine unzureichende Spermaqualität festgestellt bzw. bestätigt werden und die Schlachtung erfolgen kann, reduziert das obige Szenario den produktiven jährlichen Eberbestand um mindestens fünf Bestandseber. Bei einer angenommenen jährlichen Produktion von 2.000 Portionen je Eber gehen 10.000 und mehr Portionen pro Jahr verloren.
Ferkelerzeuger
Insgesamt verbessert die Anwendung von FertiBoar die Anzahl der Eber mit guter Spermaqualität sowie die durchschnittliche Spermaqualität der KB-Eberbestände. Da die Spermaqualität einen Einfluss auf Abferkelrate und Wurfgröße hat, werden auch die Ferkelerzeuger indirekt von FertiBoar profitieren.
Ein überzeugendes Beispiel für die Anwendung einer innovativen Technologie in der Praxis
Im Juni 2021 erfolgte im größten PIC-Ebervermehrungsbetrieb in Deutschland die Integration der FertiBoar-Technologie in den Routineablauf. Die ersten vollständig getesteten Tiere wurden im Oktober 2021 an Kunden ausgeliefert. Nach einer Feinabstimmung der Prozesse und der Optimierung der Datenlogistik wird die Technologie im Laufe des nächsten Jahres auf weiteren Ebervermehrungsbetrieben in Europa installiert und eingeführt.
Wichtige Punkte zu FertiBoar
FertiBoar ermöglicht die frühzeitige Identifizierung und Negativselektion von Zuchtebern mit voraussichtlich schlechter Spermaqualität. Die Technologie nutzt Ultraschallbilder der Hoden, um relevante Organabschnitte mit Hilfe eines künstlichen neuronalen Netzwerks und semantischen Segmentierungsansätzen automatisch zu analysieren und die funktionellen Gewebemerkmale über Graustufenparameter zu beschreiben. Diese Informationen fließen in einen Klassifizierungsalgorithmus ein, der die Veranlagung eines Ebers vorhersagt, zukünftig eine gute Spermaqualität zu produzieren. Die Technologie bietet Vorteile für die gesamte Wertschöpfungskette durch:
- Effizientere und effektivere Verbreitung des Zuchtfortschritts
- Erhöhung der Gesamteffizienz von KB-Stationen bei der Spermaproduktion je eingekauftem Eber
- Lieferung von Sperma höherer Qualität an Ferkelerzeuger mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit
Weiterführende Literatur
Resende PCSL, Siqueira AP, Rodrigues LC, Lagares MA, Chiarini-Garcia H, Almeida FRCL. Relationship between pre-pubertal biometrical measures and sperm parameters for the selection of high genetic merit pure and crossbred boars. Theriogenology 2019;127:1-6.
Robinson JA, Buhr MM. Impact of genetic selection on management of boar replacement. Theriogenology 2005;63:668-678.
Schulze M, Buder S, Rüdiger K, Beyerbach M, Waberski D. Influences on semen traits used for selection of young AI boars. Anim Reprod Sci. 2014 Aug;148(3-4):164-70.
Schulze, S. Beyer, F. Beyer, R. Bortfeldt, A. Riesenbeck, C. Leiding, M. Jung, M. Kleve-Feld. Relationship between pubertal testicular ultrasonographic evaluation and future reproductive performance potential in Piétrain boars, Theriogenology 2020;158:58-65.